Olympia 2036 in München?

Wenn man heute durch den Olympiapark spaziert, den Blick über das ikonische Zeltdach schweifen lässt und die Stille über dem Olympiasee genießt, dann liegt in der Luft noch immer etwas von jenem Geist, der München im Sommer 1972 prägte. Es war das Jahr, in dem sich Deutschland der Welt als modernes, friedliches Land präsentierte – weltoffen, fortschrittlich, architektonisch visionär. Mehr als ein halbes Jahrhundert später könnte genau dieser Ort erneut zur Bühne einer globalen Sportgeschichte werden: München denkt laut über eine neue Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036 nach.

2036 – das klingt weit weg und doch so symbolisch nah. Hundert Jahre nach den umstrittenen Berliner Spielen von 1936 will Deutschland zeigen, dass es gelernt hat. Dass Olympia heute nicht mehr für Größenwahn und politische Inszenierung steht, sondern für Nachhaltigkeit, Transparenz und Zusammenhalt. München könnte diese Botschaft verkörpern wie kaum eine andere Stadt.

Der neue Olympia-Plan für München

Seit 2024 arbeitet eine Arbeitsgruppe aus Stadt, Freistaat, Sportverbänden und Wirtschaft an einem Konzept, das bewusst mit alten Mustern bricht. Keine überdimensionierten Neubauten, keine Milliardenverschwendung, kein Olympia der Eliten – sondern eine bodenständige, zukunftsorientierte Version des Sportspektakels. München setzt auf Nachhaltigkeit, Bürgernähe und auf das, was die Stadt ohnehin ausmacht: funktionierende Infrastruktur, ein lebendiges Stadtbild und sportliche Tradition.

Der Olympiapark, Herzstück und Symbol der Spiele von 1972, soll wieder im Zentrum stehen. Seine Stadien, Hallen und Arenen sind noch immer modern, gepflegt und multifunktional. München plant, so viel wie möglich wiederzuverwenden – das Dach aus den 70ern, das Schwimmstadion, das Olympia-Eisstadion. Ergänzend sollen weitere bayerische Orte eingebunden werden: der Eiskanal in Augsburg, die Regattastrecke in Oberschleißheim, die Sprunganlagen in Garmisch-Partenkirchen. Eine Olympiabewerbung nicht als städtisches, sondern als bayerisches Gemeinschaftsprojekt – dezentral, nachhaltig, und nah an den Menschen.

Bürgerentscheid statt Hinterzimmerpolitik

München weiß: Eine Bewerbung ohne Rückhalt der Bevölkerung hat keine Zukunft. Das haben die gescheiterten Versuche für die Winterspiele 2022 gezeigt. Deshalb wird es diesmal anders. Am 26. Oktober 2025 soll die Bevölkerung in einem Bürgerentscheid abstimmen, ob München sich überhaupt um die Spiele bewerben darf. Nur wenn die Mehrheit „Ja“ sagt, geht die Stadt offiziell ins Rennen.

Die Kommunikation ist transparent. Informationsveranstaltungen, Bürgerversammlungen, digitale Beteiligungsplattformen – alles soll offen, nachvollziehbar und dialogorientiert ablaufen. Oberbürgermeister Dieter Reiter betont, dass Olympia nur dann Sinn mache, wenn es ein gemeinsames Projekt von Stadt und Bürgern wird. Auch Ministerpräsident Markus Söder steht hinter der Idee und sieht in Olympia eine „Jahrhundertchance“, die Bayern wirtschaftlich, touristisch und kulturell stärken könnte.

Ein Konzept der Nachhaltigkeit

Das geplante Olympische Dorf soll nach den Spielen nicht leer stehen, sondern ein dauerhaft bewohntes Stadtquartier werden – mit bezahlbarem Wohnraum, Schulen, Parks und Radwegen. München nutzt Olympia als Anstoß für Stadtentwicklung. Auch beim Thema Energie setzt man auf Zukunft: Photovoltaik, Geothermie und moderne Wärmepumpen sollen das Dorf und die Wettkampfstätten versorgen.

Die Mobilität spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. München plant, die Spiele klimaneutral zu gestalten – mit E-Bussen, wasserstoffbetriebenen Shuttles und Bahnanschlüssen in alle Spielorte. Das Ziel: kurze Wege, saubere Luft und eine Verkehrsinfrastruktur, die nach den Spielen erhalten bleibt.

In vielen Punkten erinnert das Konzept an das Motto der Spiele von 1972: „Die heiteren Spiele“. Damals stand München für Leichtigkeit und Lebensfreude – Werte, die heute neu interpretiert werden: als nachhaltige, verantwortungsvolle Modernität.

Die politische und gesellschaftliche Dimension

Doch trotz aller Visionen bleibt die Bewerbung ein Balanceakt. Die Erinnerung an Berlin 1936 ist tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Kritiker warnen, die Symbolik des hundertjährigen Jubiläums könne problematisch sein. Befürworter dagegen sehen genau darin eine Chance: Deutschland könne zeigen, wie weit es gekommen ist – weltoffen, tolerant, friedlich. Ein Statement für Demokratie, Vielfalt und internationalen Dialog.

Die Unterstützung aus der Politik ist vorhanden, aber auch von Realismus geprägt. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) betont, dass München nur dann Chancen hat, wenn die Bewerbung glaubwürdig, transparent und finanzierbar bleibt. „Es geht um Vertrauen“, sagt DOSB-Präsident Otto Fricke. „Olympia darf kein Prestigeprojekt sein – sondern ein Gemeinschaftsprojekt, das sich die Menschen zu eigen machen.“

Chancen und Risiken der Bewerbung

Die Chancen liegen klar auf der Hand: internationale Aufmerksamkeit, wirtschaftliche Impulse, Investitionen in Infrastruktur, Wohnbau und Verkehr. Auch der Tourismus könnte profitieren – München wäre über Jahre hinweg Thema in globalen Medien. Studien aus London und Paris zeigen, dass der sogenannte „Olympic Effect“ Regionen langfristig stärken kann, wenn die Spiele nachhaltig geplant werden.

Doch die Risiken sind ebenso real. Die Kosten könnten explodieren, Sicherheitskonzepte komplex werden, und politische Spannungen entstehen. Die Münchnerinnen und Münchner sind kritisch – und genau das macht diese Bewerbung glaubwürdig. Sie wird nicht euphorisch getragen, sondern reflektiert diskutiert.

München als Vorbild für ein neues Olympia

Das IOC selbst sucht nach neuen Wegen. Seit Jahren steht es wegen Korruption, Gigantismus und Intransparenz in der Kritik. Die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry hat angekündigt, Bewerbungsprozesse zu reformieren – hin zu regionalen, nachhaltigen Spielen mit bestehenden Anlagen. München würde perfekt in dieses Raster passen.

Der Olympiapark gilt heute schon als Paradebeispiel für Nachhaltigkeit: Er wird täglich genutzt, hat Kultstatus, und bleibt finanziell tragfähig. München könnte damit zeigen, wie man Sportgeschichte bewahrt und gleichzeitig Zukunft gestaltet.

Historische Verantwortung und emotionale Tiefe

Ein weiterer Aspekt prägt die Diskussion: der Terroranschlag während der Olympischen Spiele 1972. Für viele Münchnerinnen und Münchner ist das Thema Teil der Stadtidentität. Eine erneute Austragung wäre auch ein Zeichen des Erinnerns – und der Überwindung. München könnte zeigen, dass es möglich ist, aus Schmerz Verantwortung zu schöpfen. Sicherheit, Gedenken und Respekt würden zentrale Werte der Bewerbung sein.

Blick in die Zukunft

Noch steht nichts fest. Das IOC hat im Sommer 2025 angekündigt, den Bewerbungsprozess für künftige Spiele zu überprüfen und vorerst zu pausieren. Das könnte München Zeit geben, sein Konzept weiter zu verfeinern und breitere Zustimmung zu gewinnen. Offiziell rechnen Beobachter frühestens 2027 mit einer Entscheidung über die Spiele 2036.

Bis dahin wird gearbeitet – in Arbeitsgruppen, Kommissionen und Stadtplanungsämtern. Es entstehen Machbarkeitsstudien, Energie- und Verkehrskonzepte, Nachhaltigkeitsberichte. Und mit jedem Monat wächst die Hoffnung, dass München den Mut hat, erneut Weltstadt des Sports zu werden – aber diesmal auf seine ganz eigene Art.

Fazit: München 2036 – Eine Idee, die größer ist als Olympia

Ob München 2036 tatsächlich Olympiastadt wird, ist offen. Doch die Bewerbung selbst ist schon jetzt ein Zeichen: für Mut, für Wandel, für Verantwortung. München zeigt, dass Sportpolitik auch Stadtpolitik sein kann – und dass es möglich ist, Visionen zu haben, ohne den Bezug zur Realität zu verlieren.

Vielleicht wird der Olympiapark eines Tages wieder zum Mittelpunkt der Welt. Vielleicht bleibt er einfach das, was er heute ist: ein Ort, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen. In jedem Fall steht München mit dieser Bewerbung für etwas, das über Medaillen hinausgeht – für den Glauben an eine bessere, nachhaltigere Form von Olympia.